Bündner Wirtschaft fordert Ausbau der Energieproduktion und ist zum Energiesparen bereit
Eine Umfrage der Dachorganisationen der Wirtschaft Graubünden (DWGR) zur aktuellen Energiesituation zeigt, dass die Betriebe im Kanton unterschiedlich betroffen sind. Eine klare Mehrheit der befragten Betriebe stellt sich hinter den raschen Ausbau der Energieproduktion, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Grundsätzlich stellen die Strompreise die grösste Herausforderung im Energiebereich dar. Die Liquidität könnte in einzelnen Betrieben zum Problem werden. Aufgrund der hohen Energiepreise befürchten aber vergleichsweise wenige Betriebe eine Überschuldung. Das Potenzial für freiwilliges Energiesparen ist vorhanden und liegt gemäss Umfrage zwischen 10 und 20 Prozent. Entsprechend sollen bei einer Mangellage Anreize anstatt Verbote im Vordergrund stehen. Die Betriebe wissen am besten, wo Einsparungen sinnvoll vorgenommen werden können. Wiederholte Stromabschaltungen würden nach Ansicht der DWGR einen grossen Teil der Bündner Wirtschaft lahmlegen. Diese läuft gemäss der Umfrage aktuell noch gut.
Zur grafischen Auswertung der Umfrage
Gute wirtschaftliche Lage mit Herausforderungen bei Energie und Personal
Die aktuelle Wirtschaftslage bei den Bündner Betrieben wird von den Umfrageteilnehmenden grösstenteils als gut (57%) bis sehr gut (19%) eingeschätzt. Die Aussichten im kommenden Jahr sind noch immer gut, haben sich aber im Vergleich zur letzten Umfrage anfangs 2022 leicht getrübt. Neu geben 17% der befragten Unternehmen an, dass sich die Geschäftslage im kommenden Jahr verschlechtern dürfte, was eine Verdoppelung gegenüber der letzten Umfrage darstellt. Die grösste Herausforderung (gross bis sehr gross) stellt neben der Energielage (60%) der Arbeitskräftemangel (62%) dar. Weiter folgen die Herausforderungen rund um die Lieferketten (50%) sowie die politischen Rahmenbedingungen im Allgemeinen (41%). Die starke Schweizer Währung ist für rund 35% der befragten Betriebe eine grosse bis sehr grosse Herausforderung.
Betroffenheit aufgrund Energielage unterschiedlich
Die Betroffenheit aufgrund der aktuellen Energielage ist bei den befragten Unternehmen unterschiedlich. 37% der Betriebe sind, angesichts der Energieversorgung im kommenden Winter, beunruhigt bis stark beunruhigt, 36% sind teilweise beunruhigt und 27% sind eher bis gar nicht beunruhigt. Die grössten Probleme erwarten die Umfrageteilnehmenden bei den hohen Energiepreisen (68%) gefolgt von der Verfügbarkeit des Stroms (54%) und möglichen staatlichen Einschränkungen (50%).
Freiwilliges Sparen mit Anreizen statt Verboten
Im Hinblick auf den kommenden Winter nimmt eine Mehrheit der Umfrageteilnehmer betriebliche Anpassungen im Bereich der Energieeffizienz vor. 23% lösen Investitionen in diesem Bereich aus und 21% planen Investitionen in die eigene Energieproduktion. Diese Umfrageergebnisse zeigen, dass die Bündner Wirtschaft grossmehrheitlich Verbesserungen bei der Energieeffizienz vornimmt und sogar in die eigene Energieproduktion investiert. Gemäss eigenen Einschätzungen haben die Umfrageteilnehmenden in den letzten zehn Jahren bereits 13% Strom eingespart. Für kurzfristige, freiwillige Einsparmöglichkeiten beim Strom liegt der Durchschnitt bei 9%. Insgesamt könnten die Betriebe mit Einsparungen von 19% bei allen Energieträgern gerade noch wirtschaftlich arbeiten. Dabei könnten sie selber entscheiden, wann und wo die Einsparungen im Betrieb vorgenommen würden. Gemäss Umfrage sind die meistgenannten Einsparungen bei der Beleuchtung (59%), bei der Gebäudehülle/Heizung (46%) sowie bei der IT und Elektrogeräten (30%) möglich.
Interesse für Sparvereinbarungen und Energieberatungsprogramm vorhanden
Rund die Hälfte der Betriebe würden bei einem Energieberatungsprogramm für Unternehmen teilnehmen, wenn ein Teil der Kosten übernommen würde. Der Kanton Graubünden könnte aufgrund des kantonalen Energiegesetzes ein solches Energieberatungsprogramm finanziell unterstützen. Ebenfalls wären fast die Hälfte der Betriebe bereit, Sparvereinbarungen mit dem Bund im Hinblick auf eine Mangellage abzuschliessen, falls entsprechende Betriebe im Gegenzug von anderen Einschränkungen wie Verboten ausgenommen würden.
Ausbau der Energieproduktion gefordert
Eine klare Mehrheit stellt sich hinter den raschen Ausbau der Energieproduktion, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen. 66% der Umfrageteilnehmenden unterstützen die Haltung, dass «der Staat sich auf den Ausbau der Energieproduktion fokussieren und die entsprechenden Rahmenbedingungen für die Stromproduktion anpassen solle.» Die Umfrage zeigt auch, dass jeder fünfte Betrieb in die eigene Energieproduktion investieren möchte. Ansonsten zeigen die Resultate der Umfrage eine heterogene politische Haltung im Bereich der Energieversorgung und allfälligen Unterstützungsmassnahmen für in Not geratene Unternehmen.
Liquiditätsprobleme als grösste Herausforderung
Jeder dritte Betrieb auf dem freien Strommarkt und rund jeder achte Betrieb in der Grundversorgung befürchtet gemäss Umfrage Liquiditätsprobleme aufgrund der hohen Energiepreise. Die Umfrage zeigt damit, dass neben einer möglichen Strommangellage auch Liquiditätsprobleme aufgrund der hohen Strompreise zu volkswirtschaftlichen Risiken führen können. Auch wenn Betriebe, die ihren Strom auf dem freien Markt einkaufen, bei der Umfrage überrepräsentiert sind, zeigt diese, dass zahlreiche Betriebe im Kanton mit einer erheblichen Verteuerung des Strompreises konfrontiert sind. Bei 80% der Umfrageteilnehmer werden die Stromkosten im nächsten Jahr höher ausfallen. Im Durchschnitt wird eine Verdreifachung dieser Kosten erwartet. Die mittleren Stromkosten (ohne Netzgebühren etc.) für das Jahr 2023 werden von den Betrieben gemäss Umfrage bei rund 30 Rappen pro kWh erwartet. Rund jeder fünfte Betrieb erwartet aber Kosten zwischen 0.60 CHF und 1.20 CHF pro kWh. Daher ist es auch nicht erstaunlich, dass 19% der Betriebe Liquiditätsprobleme und 6% gar eine Überschuldung befürchten. Bei Betrieben, welche den Strom auf dem freien Markt einkaufen, liegt dieser Anteil jeweils deutlich höher. Die Umfrage zeigt aber auch, dass viele Betriebe im Kanton finanziell gut aufgestellt sind, denn rund die Hälfte der Betriebe können die höheren Energiekosten durch eigene Mittel decken.
Überbrückungskredite sind zu prüfen
Die DWGR appellieren an die Solidarität der Stromversorger in Graubünden, im Dialog individuelle und tragbare Lösungen mit ihren Kunden zu finden, welche vor grossen finanziellen Herausforderungen stehen. Grundsätzlich ist der Bund für die Energieversorgung zuständig, so auch für allfällige Unterstützungsmassnahmen an Unternehmen aufgrund zu hoher Energiepreise. Die DWGR plädieren weiterhin für eine Prüfung von bundesweiten Überbrückungskrediten bei Liquiditätsengpässen aufgrund übermässiger Energiepreise sowie gegebenenfalls für eine Vereinfachung bei der Anmeldung und der Abrechnung von Kurzarbeit. Sollte der Bund keine entsprechenden Unterstützungsmassnahmen einführen, soll gemäss DWGR für Graubünden ein kantonales Programm für Überbrückungskredite geprüft werden. Denn wie die Umfrage zeigt sind zahlreiche Betriebe im Kanton zwar in ihrer Liquidität gefährdet, jedoch nicht von einer Überschuldung bedroht. Weitere Unterstützungsmassnahmen sind aktuell nicht angezeigt. Bei allfälligen künftigen Eingriffen in die Wirtschaftsfreiheit durch Verbote, Kontingentierungen oder gar Stromabschaltungen wären demgegenüber Entschädigungen zwingend angezeigt, da die Unternehmungen in diesem Fall unverschuldet in eine Notlage geraten würden.
Weitere Informationen zur Umfrage
An der Online-Umfrage der Dachorganisationen der Wirtschaft Graubünden haben vom 19.9. – 16.10.2022 insgesamt 358 Unternehmen teilgenommen. Bei den Betrieben mit mehr als 10 Mitarbeitenden haben rund 10% aller Bündner Betriebe in dieser Grösse an der Umfrage teilgenommen. Regionen und Branchen aus dem Bereich Tourismus und Baugewerbe sind in der Umfrage überrepräsentiert. Weiter haben auch Betriebe, welche den Strom auf dem freien Markt beziehen (25%), überproportional häufig an der Umfrage teilgenommen als Betriebe aus der Grundversorgung. Die Umfrage zeigt trotz gewissen Unschärfen in der Repräsentativität der Umfrageteilnehmenden ein realistisches Lagebild der Bündner Wirtschaft angesichts der energiepolitischen Herausforderungen.